Wie international darf die Soziale Arbeit sein? Beispiele und Gedanken zur Sozialen Arbeit in der Autonomen Region Kurdistan / Nordirak

Niklas Rokahr

 

Abstract:

Die Internationale Soziale Arbeit ist ein großes Forschungsfeld innerhalb der Sozialarbeitswissenschaften. Doch wie international darf die Soziale Arbeit wirklich sein? Internationale Akteure wie Nichtregierungsorganisationen und Kooperationsprojekte können einen großen Einfluss auf das Studium und die berufliche Tätigkeit der Sozialarbeiter_innen vor Ort nehmen. Häufig ziehen beide Beteiligten einen Nutzen aus einer internationalen Zusammenarbeit. Doch birgt eine Internationalisierung auch ein gewisses Gefahrenpotential – vor allem durch eine Dominanz der englischen Sprache in Lehre, Forschung und Praxis. 

 

Im Laufe meines ersten Aufenthaltes an der Universität of Sulaimani im Nordirak /Autonome Region Kurdistan[1], die  im Zusammenhang des Kooperationsprojektes  stattfand, machte ich mir ausführliche Gedanken über das Projekt sowie der damit einhergehenden Internationalisierung der Lehre und Forschung. Außerdem habe ich mir vor, während und auch vor allem nach dem Aufenthalt habe ich mir ausführliche Gedanken dazu gemacht, ob und wie die Studierenden der Sozialen Arbeit in der KRI nach ihrem erfolgreichen Studium Soziale Arbeit leisten können. Zusätzlich stellten sich mir in diesem Zusammenhang die Fragen, inwieweit eine Internationalisierung Auswirkungen auf das Studium und die Praxis der Sozialen Arbeit haben kann und ob sich die noch junge Profession der Sozialen Arbeit einen Raum in der Gesellschaft erschließen kann, den sie verdient.

In den Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit sind in der KRI vor allem Psycholog_innen und Soziolog_innen tätig. Durch die hohe Aktivität von (internationalen) Nichtregierungsorganisationen sowie neuen Vereinen und Einrichtungen, erschließen sich die Studierenden der Sozialen Arbeit – auch viel durch Eigeninitiative – neue Berufsfelder und erfahren diese in begleiteten Praxisphasen oder durch freiwillige Praktika, wie eine Professorin des Kooperationsprojektes berichtete. Meiner Meinung nach, ist dies aufgrund der häufigen Tätigkeit von (internationalen) Nichtregierungsorganisationen und Einrichtungen in gesellschaftlich relevanten Bereichen wie beispielsweise der Flüchtlingsarbeit, der Arbeit im Zusammenhang mit Armut und der geschlechtssensiblen Arbeit von besonderer Bedeutung für die Identitätsfindung als Sozialarbeiter_in und ermöglicht ihnen daher als professionell ausgebildete Fachkraft eine gesellschaftliche Anerkennung und Akzeptanz zu erarbeiten. Die gesellschaftliche Relevanz erhalten die oben genannten Tätigkeitsbereiche dadurch, dass ein Großteil der Bevölkerung auf verschiedenen Ebenen betroffen ist und Themen wie Flucht und Armut gesellschaftliche Spannungen auslösen können. Die Identitätsfindung der angehenden Sozialarbeiter_innen bildet sich meiner Auffassung nach dann aus, wenn Erlerntes Anwendung in Tätigkeitsbereichen von besonderer Relevanz findet, ihre Tätigkeiten (gesellschaftlich) anerkannt werden und die Studierenden sich Tätigkeitsbereiche eigenständig erschließen.

So nehmen auch internationale Kooperationsprojekte Einfluss auf das Studium und die spätere berufliche Tätigkeit und treiben unter Umständen eine Internationalisierung voran. Dennoch besteht durch die Tätigkeit verschiedener internationaler Akteure ebenfalls die Möglichkeit eines Wissens- und Erfahrungsaustausches, der auf beiden Seiten der Betroffenen eine Internationalisierung sowie eine Professionalisierung befördern kann. 

Trotz der Vorteile angesichts der umfangreichen Arbeitsfelder und der Internationalisierung der Sozialen Arbeit durch (internationale) Nichtregierungsorganisationen und Kooperationsprojekte, sehe ich die aktuelle Entwicklung der Internationalisierung in der Lehre dahingehend problematisch, da die Verkehrssprache in einer Vielzahl der Vorlesungen Englisch ist und dies auch weiter ausgebaut werden soll. Neben der Erfahrung, dass nur wenige der Studierenden überhaupt Englisch sprechen und verstehen, und so unter Umständen wichtige Inhalte verloren gehen können, behindert meiner Meinung nach die reine Lehre in Englisch eine ausreichende Identitätsfindung sowie die Professionalisierung der angehenden Sozialarbeiter_innen. In der späteren alltäglichen Praxis als Sozialarbeiter_innen werden die Studierenden überwiegend in ihrer Muttersprache Kontakt zu Klient_innen haben. Außerdem werden so vermutlich die Forschung und dementsprechend Publikationen in der Muttersprache verloren gehen, die für eine fortlaufende Professionalisierung der Sozialen Arbeit in der KRI besonders wichtig sind. 

Andererseits ermöglicht Fachwissen in englischer Sprache einen länderübergreifenden Austausch sowie die Wissensübermittlung in und aus anderen Ländern und Professionen. Gefahrenpotential besteht möglicherweise in einer unkritischen Adaption von Literatur und Wissen sowie durch ein „Überstülpen“  internationaler Akteure ohne lokale Gegebenheiten zu beachten.

Für mich ist das Kooperationsprojekt zwischen der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe und der University of Sulaimani eine besonders wichtige Erfahrung, die das enorme Potential der Zukunft der (internationalen) Sozialen Arbeit verdeutlichen. Ich sehe eine international ausgerichtete und im Austausch stehende Soziale Arbeit als einen weiteren wichtigen Schritt zur Anerkennung als eine Profession, wobei die jeweiligen nationalen Gegebenheiten und Anforderungen nicht einer Internationalisierung zum Opfer fallen dürfen.

 

[1]Im Folgenden benutze ich der Einfachheit halber die Abkürzung KRI (engl.: Kurdistan Region of Iraq). Jedoch verdeutlicht sich auch hier bereits der internationale bzw. englische Einfluss. Politisch korrekt wäre die Bezeichnung Kurdistan-Irak. 

 

In einer anderen Version wird dieser Artikel im Jahr 2020 in englischer Sprache in einer Publikation des Kooperationsprojektes CoBoSunin veröffentlicht.

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